Glaubenssätze

Wir alle haben Glaubenssätze. Glaubensätze sind Grundannahmen von uns und der Welt. Glaubenssätze sind sinnvoll und hilfreich. Sie reduzieren Komplexität, geben Orientierung und machen uns handlungsfähig. Oder das Gegenteil. Denn Glaubenssätze können auch schlecht sein. Bei Borderlinern sind sie es. Eigentlich immer. Konsequent und durchgängig. In Bezug auf die Welt. Und mehr noch auf uns selbst.

Ich bin wertlos. Ich bin nicht liebenswert. Ich verdiene es nicht geliebt zu werden. Ich darf nicht glücklich sein. Ich kann nichts richtig machen. Ich bin unfähig. Ich darf nicht schwach sein. Alle sind gegen mich. Um die beliebtesten zu nennen.

Keiner liebt mich. Dich kann gar keiner lieben. Du bist ein Versager. Das waren meine. Und für ganz besondere Momente: Du verdienst es nicht zu leben. Und das sind nicht einfach so Gedanken. Das sind klar formulierte Sätze. Von einer Stimme direkt in meinem Kopf. Und die kann laut werden. Sehr laut. Wenn sich der passende Anlass bietet. So laut, dass ich nichts anderes denken kann. So laut, dass ich weinen muss. Oder extrem wütend werde. So laut, dass sie mich zur Verzweiflung treibt. Oder direkt zur Selbstverletzung.

Glaubenssätze werden in der Kindheit geprägt. Keine Ahnung woher meine stammen. Meine Eltern hatten mich geliebt. Die Mutter gar mit Liebe überschüttet. Also, was verdammt war das Problem? Ich wusste es nicht und wollte es lösen. Empirisch natürlich. Berufskrankheit halt. Ich fragte die anderen. Beim letzten Trialog. Zu ebendiesem Thema.

Und ich erhielt Antworten. In Form von Geschichten. Dramatischen Geschichten. Aber auch andere. Ähnlich wie meine. Von wieder ausgeräumten Spülmaschinen und umgehängter Wäsche. Von aus der Hand genommenen Dingen und nie etwas richtig zu machen. So richtig wie nur sie es tat. Helfen zu wollen und es nicht zu können. Nicht nur im Haushalt. Viel schlimmer ihr als Mensch. Ob Tochter einer Suchtkranken oder überforderten Perfektionistin mit Eheproblemen. Die kindliche Ohnmacht bleibt die gleiche. Die Ohnmacht, die Hilflosigkeit und das Gefühl des eigenen Versagens.

Tolstoi sagt, alle glücklichen Familien ähneln einander, jede unglückliche Familie ist auf ihre eigene Weise unglücklich. Das mag stimmen. Aber auch unglückliche Familien haben viel gemeinsam. Wie nicht geglückte Kindheiten. Und die daraus folgenden Störungen. Das kann irritieren. Aber auch helfen. Helfen sich selbst zu verstehen. Und Verständnis zu bekommen. Daher mag ich den Trialog. Und mehr noch meine Gruppe.

Die Glaubenssätze habe ich übrigens besiegt. Empirisch natürlich. Mit logischer Beweisführung. Und wenn die Stimme wiederkommt, sag ich einfach: Halt die Klappe. Klappt fast immer. Und jedes Mal ein bisschen mehr.

14 Gedanken zu “Glaubenssätze

  1. Chapeau!
    Eine Freundin meinte neulich zu mir – bezüglich eines Bilds bei der SZ mit der Aufschrift »Läuft bei mir. Zwar rückwärts und bergab, aber läuft.« – es würde bei mir einen Schritt vorwärts und zwei zurück laufen. Natürlich meinte sie das nicht ganz so ernst. Innerlich kam ich wieder ins Zweifeln. Und mein inneres Kind fühlte sich wieder schuldig. Auch hier gilt: Die Erziehung ist nicht einfach. Vielleicht sollte ich mir dein »Halt die Klappe« mehr zu Gemüte führen sowie umsetzen.

    Ich mag deine Logik sehr. In diesem Sinne: Hab einen erfolgreichen Arbeitstag 🙂

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  2. Ok das war in der Tat was mit Substanz! Und zwar viel Substanz. Ich freue mich sehr für dich, dass du die Stimme besser im Griff hast. Daran muss ich noch stark arbeiten, obwohl ich eigentlich weiß woher sie kommen!

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  3. Nachtrag: Ich finde diesen Beitrag so gut, dass ich ihn teilen werde. Nicht, dass deine anderen Beiträge nicht gut wären, im Gegenteil – gerade deine Erörterung der Glaubenssätze ist so leicht verständlich, dass ich das einigen Mitmenschen »mitteilen« möchte. Wir (also ich und meine zahlreichen mit innewohnenden Persönlichkeiten) scheitern daran fast täglich aufs Neue 😉

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    1. Zugegeben. Das war der literarischen Kurzform geschuldet etwas vereinfacht dargestellt. Es war ein langer Weg, der mich viel Anstrengung und einen Umweg über’s Irrenhaus gekostet hat. Ich kann mir aber beweisen, dass meine Glaubenssätze nicht stimmen. Und damit den inneren Kritiker mundtot machen. Irgendwann braucht man die ganze Beweiskette nicht mehr jedesmal runterzubeten. Und ein „Schnauze“ bei kleinen Krisen reicht. Bei Großen benötigt es mehr sachliche Gegenargumentation und ausdauernde Überzeugungsarbeit. Aber erstmal überhaupt mit sich zu reden – nett und verständnisvoll – kann ein großer Fortschritt sein.

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  4. Hm, wie besiegt man diese Glaubenssätze? Wie besiegt man das Teufelchen auf der Schulter, dass einen daran erinnern? Klappt es tatsächlich dadurch, dass man es nur immer wieder mit Fakten schlägt, dass es irgendwann hinten rüber kippt?

    Ich schlage ihn nun seit so vielen Jahren

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    1. Man darf es sich halt nicht nur sagen, sondern muss anfangen es zu glauben. Sich zu glauben. Mehr als den alten Unwahrheiten. Und man lernt durch Wiederholung. Wie bei anderen Dinge auch.

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      1. klingt mal wieder so einfach 😀 also fangen wir mal an, zu glauben, sich zu glauben, auch wenn einer der Glaubenssätze sagt, dass man es nicht darf 🙂

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  5. Wie besiegt man Wut und Trauer, wenn einem wieder alles aus der Hand genommen wird und man ohnmächtig daneben steht. Mein Therapeut sagte, dass ich mir selbst im Wege stünde und dies auch eine Form der autoaggression sei. Warum mache ich mir alles schwer und verbiete mir fröhlich zu sein? Mein Mann scheitert an mir und ist nur noch frustriert. Das natürlich passt wunderbar in mein schulddenken; denn nun bin ich auch noch für seinen Gemütszustand verantwortlich. Ich werde versuchen mich zu reflektieren und hoffe dass “ halt die Klappe“ auch bei mir Gehör findet

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  6. Wie immer: Interessant. 🙂

    Erinnert mich an einen anderen Artikel: http://www.huffingtonpost.de/2015/10/12/frau-realisiert-ehemann-immer-beschimpft-zu-haben_n_8278852.html

    Darum: Spannender Perspektivenwechsel. Was passiert mit der benörgelten Person?

    Ich bin beeindruckt von deiner Beweiskette. Die logisch-empirische Herangehensweise gefällt mir.

    Wenn mir die Decke auf den Kopf fällt, versuche ich mir eine Szene aus einem Buch in möglichst vielen Einzelheiten vorzustellen. Darüber schlaf ich häufig einfach ein und nach einem Nickerchen oder einer Nacht sieht die Welt doch gleich viel freundlicher aus.

    Und nachdem ich dies schrieb, frag ich mich: Interessiert dich das überhaupt?

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